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Eine DSA-Kurzgeschichte von Dorothea-Christiana Bergermann
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»Euer Gnaden«, flüsterte jemand durch die Nacht. »Euer Gnaden.« Meriban zog ihren Umhang enger um sich. Die Wüstenluft war kalt. Was hatte der dumme Praios-Geweihte diesmal angestellt?

»Mondschatten!« Die Stimme kam näher. Also doch nicht der Praiot. Sie hatte kein Bedürfnis, jetzt aufzuwachen. Die Nacht würde lang werden.

»Mondschatten!«, flüsterte der Sprecher erneut. Schließlich rüttelte er an ihrer Schulter. »Frau Meriban!«

Sie hob ein Augenlid. Fessir, ein Hüne von zwei Schritt Größe, kniete neben ihr. Der Knauf seines Säbels glitzerte im matten Licht der Sterne, als er sich vorbeugte. »Die Kundschafter sind zurück«, raunte er ihr ins Ohr.

Ihre Müdigkeit verdunstete wie Wasser in der Mittagssonne. »Flüstert Ihr immer Geschäftsgeheimnisse durch die Nacht?«, verlangte sie leise. »Mein Name ist Meriban. Meriban Tuchner. Handelsreisende aus Punin.«

Sie stand auf, schüttelte den Sand von ihrem Mantel und warf ihn wieder über ihre Schultern. »Weck' Gomin und die anderen. Besprechung, dann brechen wir auf.«

Das Versteck der Entführer war ein verlassenes Gehöft im Raschtulswall. Die Geweihte wurde in einem alten Schuppen gefangen gehalten. Ihr Wächter war ein Mann der, nur mit einer Fackel zur Gesellschaft, an der Vorderseite des Gebäudes saß. Drei weitere Menschen - zwei Frauen und ein Mann - hatten vor zwei Stunden auf dem Platz vor dem Haupthaus mit Tischen, Fackeln und Kerzen hantiert.

»Wie für'n Fest, Frau Meriban«, sagte Alrike, eine der beiden Kundschafterinnen, leise. »Bänder, Schmuck, goldne Tella - fehlt' nur noch'n Bratn.«

Das klang nicht gut. Meriban starrte in die nur von den Sternen erleuchtete Neumondnacht. Geweihte des richtigen Gottes waren saftige Braten für Dämonenbeschwörer, und das Sternbild des Phex würde heute eine Stunde vor Morgengrauen untergehen.

»Der Weg ist gangbar? Keine Fallen?«, erkundigte sie sich.

»Wir haben nichts gefunden«, meinte Mira, die zweite Kundschafterin. »Aber es ist stockdunkel. Wollt ihr etwa ...?«

»Es ist keine Nacht so schön wie diese, und je früher wir Ihre Gnaden Fuchslieb befreien, desto besser.«

»Ihr könnt doch nicht einfach wie Diebe mitten in der Nacht da hineinschleichen!« Der Einwand seiner Gnaden Praiodans zerriss die Stille der Nacht.

»Scht!« zischte Meriban. »Wollt ihr uns verraten? Was sollten wir sonst tun, euer Gnaden? Morgen Mittag den Pfad hochstolzieren und uns einer nach dem anderen umbringen lassen?«

»Die Leute sind zu viert. Wir sind zu neunt. Wir können ohne Weiteres die Herausgabe der Geisel verlangen.« Der junge Praios-Geweihte hatte seine Stimme etwas gedämpft, sprach aber immer noch viel zu laut.

»Es sind vier Leute, von denen wir wissen, euer Gnaden. In einer Ruine gibt es außerordentlich viele Möglichkeiten, sich zu verstecken. Wollt Ihr wirklich das Leben Ihrer Gnaden riskieren, weil ihr es nicht wisst?«

»Aber dem Befehl ...«, hob der junge Mann an.

»... dem Befehl eines Götterdieners werden diese Leute nicht gehorchen.«, unterbrach Meriban ihn scharf. »Das haben sie schon bewiesen, als sie Ihre Gnaden Fuchslieb entführt haben. Im übrigen haben die Mada Basari mich damit beauftragt, die Befreiung Ihrer Gnaden Fuchslieb zu leiten, und das werde ich tun. Ich kann nicht verhindern, dass Ihr Euch uns anschließt, aber wenn ihr das tut, werdet Ihr Euch nach meinen Anweisungen richten."

Der junge Geweihte murmelte etwas, das sie mit viel gutem Willen als Zustimmung auslegen konnte. Meriban wandte sich demonstrativ an den Rest der Gruppe.

»Haben wir alles? Trage, Signalpfeile, Verbandszeug, Vorräte?« Die Schemen um sie herum machten ihre Zustimmung hörbar. »Vier Leute befreien die Geweihte.«

Die Karawanenwachen verhandelten kurz untereinander, dann murmelte einer der Wächter: »Alrike führt uns.«

»Gomin, Mira und Seine Gnaden gehen mit mir.«

Der Praios-Geweihte wagte ein kurzes »Aber ...« Meriban ignorierte ihn.

»Fessir. Ihr seid der beste Bogenschütze. Ihr bleibt am Taleingang und haltet uns den Rückweg frei.«

»Jawohl, Frau Meriban.« Der Assistent des Faktors klang nicht glücklich.

»Wenn es Schwierigkeiten geben sollte, nehmt Ihr die Geweihte Fuchslieb und bringt sie in Sicherheit. Sollten wir alle auffliegen, macht Ihr Euch aus dem Staub und holt Hilfe.«

Sie machte eine kurze Pause. Das Nächste sollte dem Praios-Geweihten gefallen. »Wir sind hier, um die Geweihte zu befreien, nicht, um Rache zu nehmen. Versucht nach Möglichkeit, niemanden umzubringen. Der Faktor möchte die Leutchen dort oben vor einem regulären Gericht sehen. Sobald wir Ihre Gnaden befreit haben, wird er die Entführer einsammeln lassen. Wir möchten den Kerlen doch den Prozess nicht ersparen, oder?«

Zynisches Lachen erklang ringsum. Die Mada Basari waren gut genug organisiert, um eine solche Drohung wahr werden zu lassen.

»Noch Fragen?« Allgemeines Schweigen war ihre Antwort. »Wir befreien Ihre Gnaden und verschwinden. Kein Aufruhr. Alrike, Mira, ihr führt. Los«

Die Gruppe erhob sich und folgte den schweigenden Kundschafterinnen in die Dunkelheit.

»Wie ernst ist es dem Faktor mit der Gerichtsverhandlung?« raunte Gomin ihr ins Ohr, als ein enges Wegstück alle zum Gänsemarsch zwang.

»Alle, die den Exorzismus überleben, werden vor Praios angeklagt.« murmelte Meriban zurück. »Missachtung der Würde einer Geweihten. Und Paktiererei, das ist zu dem Zeitpunkt aber hinfällig. Hast du das Schlafmittel?«

Der Dämonologe lachte leise und setzte ihr von hinten einen Beutel auf die Schulter. »Du bist unverbesserlich.«

Meriban wog das Säckchen in der Hand. »List siegt immer. Wie wirksam ist es?«

»So stark, wie ich es arrangieren konnte.«

»Da bekäme ich doch glatt Lust, es einem gewissen jungen Mann zu verabreichen.«

»So schnell wirkt es leider nicht. Dafür werden sie aber einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang schlafen.«

»Du hast doch nicht etwa ...«

»Nein, ich habe keine Ahnung von Kräutern. Aber die junge Rabenhexe in der Hintergasse hat sich eine schöne Stange Geld verdient. Du schuldest mir dreißig Dukaten.«

»Wir schreiben es auf die Rechnung für die Mada Basari. Der Faktor meinte, er würde für alle Auslagen aufkommen.«

Vor ihnen weitete sich der Weg. »Dummer Mensch«, murmelte Gomin.

Meriban grinste und knotete den Beutel an ihren Gürtel. »Sein Verlust, unser Gewinn.«

Eine Stunde später musterte Meriban die schemenhaften Felsen zu beiden Seiten des schmalen Pfades. Vor ihnen öffneten sich die Felswände des Hohlwegs in eine Schlucht und der Pfad verlief wieder an der Bergkante entlang. Alrike, Mira und Meriban verließen die Gruppe und schlichen zur Felskante. Der Pfad hing, so weit sie sehen konnten, zwei Fuß breit zwischen Berg und Abhang.

Alrike deutete auf einen dunklen Fleck in der dunklen Wand. »Dort beginnt's Tal.« murmelte sie leise. »Vor'm Pass is' 'ne Anhöh', fünfz'n Schritt lang un' zehn Schritt breit.«

Die Bergflanke war steinig; scharfkantiges Geröll und Findlinge verdeckten die Sterne. An einer Stelle in der Nähe des Passes endete das Gestein abrupt.

»Was ist das?«, erkundigte sich Meriban bei den beiden Kundschafterinnen. Die Frauen spähten in die angegebene Richtung.

»Ich sehe nichts«, meine Mira.

Je länger Meriban das Stück Felswand betrachtete, desto unnatürlicher kam es ihr vor. Über einer scharfen Kante türmte sich Geröll, das jeden Moment stürzen könnte.

»Das ist eine Falle«, murmelte sie. »Die Steine halten nur so lange, bis jemand das Brett wegzieht. Danach kommt der halbe Berg runter. Wie konnte Euch das entgehen? Das gefährdet unser ganzes Unternehmen!«

»Wir sehna beid' nichts!«, verteidigte sich Alrike.

Bevor Meriban antworten konnte, knirschte der Kies hinter ihr. »Ich bin immer noch der Überzeugung, dass diese ganze Heimlichkeit unnütz ist. Wir sollten den Weg bei Tageslicht gehen. Wenn der Pfad so unsicher ist wie ich höre ...«

Seine Gnaden Praiodan hatte sich an Gomin vorbeigedrängelt und flüsterte lauthals. »Wir haben ein berechtigtes Anliegen, und uns steht gastliche Aufnahme zu.«

»Euer Gnaden, redet leiser!«, murmelte Meriban. »Denkt nach. Wenn Ihr ein Mensch wärt, der so wenig von den Göttern hält, dass er eine offene Geweihte des Phex entführt und gegen ihren Willen mehrere Tage festhält ... Was würdet ihr dann tun, wenn ein Praios-Geweihter mit einer kleinen Eskorte den schmalen Weg zu Eurer Festung hochklettert, um die Herausgabe Eurer Gefangenen zu verlangen? Bedenkt, Eure Stellung ist so gut wie uneinnehmbar, und Ihr habt einen Steinschlag, mit dem Ihr den einzigen Zugang zu Eurer Feste versperren könnt ... und Ihr achtet die Götter nicht. Was würdet Ihr tun?«

»Zweifelt Ihr etwa an meiner Hingabe?«, zischte der Geweihte.

»Nein, an Eurem Verstand! Wenn Ihr Euch umbringen wollt, Euer Gnaden, dann werde ich Euch nicht daran hindern, solange Ihr meine Leute und Ihre Gnaden Fuchslieb nicht in Gefahr bringt!«

Seine Gnaden wurde wieder lauter. »Ihr vergreift Euch im Ton!«

»Und Ihr Euch in Eurem, Euer Gnaden! Redet leise und flüstert nicht!«, murmelte Meriban. »So hört euch noch ganz Khôm. Wenn Ihr morgen Mittag diesen Pfad hochwandern möchtet, tut das. Aber dieses Unternehmen führe ich, und das wisst Ihr!«

»Ich habe ...« Gomin war hinter den Geweihten getreten und hielt ihm den Mund zu. Der Junge wehrte sich, hatte aber keine Chance, als der groß gewachsene Graumagier ihn zurück zu den Karawanenwachen schleppte und dabei leise auf ihn einredete.

Alrike und Mira hatten die Szene entsetzt beobachtet. »Gomin und ich werden im nächsten Tempel Abbitte leisten«, meinte Meriban und wandte sich dem dringenderen Problem zu. »Der Steinschlag ist nicht zu entschärfen. Seid auf dem Weg besonders vorsichtig. Wir gehen weiter.«

Als sie den offenen Pfad hinter sich hatten, nahm Meriban sich Zeit für ein kurzes Dankgebet. Sie hatten die Anhöhe ungesehen überquert und standen jetzt ein paar Schritt unter dem Pass im Tal. Es war klein - gerade groß genug für einen Brunnen und ein kleines Gehöft, beides von unstetem Fackelschein erleuchtet. Die Leute, die den Hof gebaut hatten, hatten sich wahrscheinlich mehr schlecht als recht von Viehzucht und Wassergeld ernährt. Das schüttere Gras unter ihren Füßen raschelte leise.

»In Ordnung. Fessir, Ihr bleibt hier. Gebt Alrike und mir einen Heuler.« Sie tauschte einen ihrer schweren Kriegspfeile gegen den Signalpfeil aus und spannte ihren Bogen. Alrike und Fessir taten es ihr gleich. »Wenn es Schwierigkeiten gibt, ein Pfeil. Rückzug für alle. Ihre Gnaden Fuchslieb muss unter allen Umständen weggebracht werden. Wer zurückbleibt, muss für sich selber sorgen. Ist das klar?«

Meriban wartete, bis das zustimmende Gemurmel verstimmt war. »Alrike - Ihr wisst, was Ihr zu tun habt. Götter mit Euch.«

Die Kundschafterin winkte die drei schwer bewaffneten Karawanenwachen zu sich und stieg in östlicher Richtung ins Tal hinunter. Der Praios-Geweihte machte Anstalten, der Gruppe zu folgen.

»Euer Gnaden, ich brauche Euch hier!« Noch während der Geweihte sich umdrehte, verschwanden Alrike und die Wachen hinter der ersten Hügelkuppe.

»Was?«, machte der junge Praios-Geweihte.

»Es ist besser, zwei Gruppen zu vier Leuten zu haben. Außer, Ihr wollt Fessir unterstützen?« Fessir würde diese Art von Unterstützung sicher nicht begrüßen, aber es würde den Jungen von Schwierigkeiten fernhalten.

»Äh ... nein«, murmelte er. Er hatte ganz klar geplant, sich Alrike anzuschließen. Wahrscheinlich, weil sie sich seinen Wünschen bedingungslos unterordnen würde.

»Dann gehen wir los. Mira, wir brauchen ein unauffälliges Versteck mit guter Aussicht auf dieses 'Fest'.«

Die Kundschafterin führte sie in westlicher Richtung um das Tal und fand ihnen schließlich ein gutes Gebüsch ein paar Mannslängen über dem Hofplatz.

Fackeln steckten im Boden, Schnüre und gemalte Linien führten kreuz und quer über den festgetrampelten Staub vor dem alten Haupthaus. Fünf Gestalten in dunklen Roben eilten zielstrebig über den Platz und kreideten tief in den Boden gezogene Furchen.

»Gomin, sag mir bitte, dass ich mich irre«, murmelte Meriban leise. Als sich ihre Augen an die Helligkeit der Fackeln gewöhnten, fand sie die Muster unter dem scheinbaren Chaos.

»Ich sehe bis jetzt drei mögliche Donaria,« gab der Graumagier zurück. »Da hinten auf dem Tisch. Die Frage ist nur noch, welche Domäne.«

Meriban musterte die Ecken des fackelbeleuchteten Heptagramms und den schweren Holztisch dahinter. Tiefe Schleifspuren führten zurück zum Haupthaus. Auf dem Tisch lagen dicke Kerzen, mehr Fackeln, ein Kreidekasten und daneben eine goldene Statuette, ein paar Beutel und ein unordentlicher Haufen Pergament. »Das ist eindeutig Nicht-Phex. Das goldene Ding da drüben ist wahrscheinlich ein Drache.«

»Was soll das?«, verlangte der Praios-Geweihte. »Was ist da los?«

Meriban ignorierte ihn und studierte den Rand des Hofplatzes. Im unsicheren Schatten des Nebengebäudes lag ein mit einem hellen Tuch abgedeckter Haufen, der sich sacht zu bewegen schien.

»Was ihr dort unten seht, Euer Gnaden«, erklärte Gomin in betont geduldigem Tonfall, »sind mindestens fünf Dämonenbeschwörer, die ein großes Ritual vorbereiten. Die Beschwörungsgaben liegen auf dem Küchentisch, den ihr da hinten seht.«

Mira erstickte einen Ausruf. Sie starrte den Magier entsetzt an. Der junge Geweihte hatte andere Ideen.

»Worauf warten wir dann noch? Wir müssen sie aufhalten!«

Meriban bekam ihn gerade noch am Handgelenk zu fassen als er aufsprang und zog ihn zurück in die Deckung. Der Priester fiel ins dürre Gras.

»Einen Moment, Euer Gnaden. Würdet Ihr bitte daran denken, wie viele Leben davon abhängen, dass wir uns unauffällig verhalten?«

»Aber das ist ein todeswürdiges Verbrechen!«

»Niemand könnte euch mehr zustimmen als ich, Euer Gnaden ...« Meribans Aufmerksamkeit wurde wieder auf den Haufen - nein eher ein langes Bündel, das sich im unsteten Licht wand und jetzt um die eigene Achse drehte - angezogen. Schließlich blickte Meriban in zwei schwarze Augen in einem blassen Gesicht. Als hätte die Anstrengung ihre letzte Kraft verbraucht, fiel die Gestalt wieder in ihre alte Lage zurück.

»Gomin, an der Ecke des Milchhauses! Das ist Ihre Gnaden!«

Der Burnus des Magiers raschelte, als er sich vorbeugte. »Was? Die brauchen doch noch mindestens eine Stunde, bis sie überhaupt das Heptagramm fertig haben ...«

»Der gesamte Hang liegt im Schatten, und die Fackeln sollten sie blenden«, meinte Mira nervös. »Ungesehen bis zum Nebenhaus zu kommen ist nicht einfach, aber machbar.«

»In Ordnung; Gomin. Du, Mira und seine Gnaden. Ihr geht und holt ihre Gnaden da raus. Still und unauffällig. Ich muss noch etwas am Haupthaus erledigen ...« Meriban bereitete sich auf den nächsten Ausbruch vor und wandte sich überrascht zum Praios-Geweihten um, als er ausblieb. Schwarze Nacht füllte die Stelle, an der er gerade noch gehockt hatte. Sein blauer Burnus lag in einem dunklen Haufen auf der Erde. »Wo ist Seine Gnaden?"

Mira hielt sich die Hand vor den Mund und deutete den Abhang hinab. Der Praios-Geweihte balancierte mit ausgestreckten Armen vorsichtig den steilen Berg hinunter und machte keine Anstalten, sich zu verbergen.

Meriban schlug mit der Faust auf den Boden. »Der Idiot!«, zischte sie. »Der linientreue Nachbeter! Er wird uns alle umbringen! Und als Begründung wird er anführen, dass er im Dienste seines Gottes ...« Der Rest ihres Ausbruchs wurde von Gomins Hand erstickt. Sie erwog, ihn zu beißen, aber er würde seine Finger heute sicherlich noch brauchen.

»Beruhige dich. Er ist nicht schlimmer als andere Praios-Geweihte, die wir kennen. Nur etwas unüberlegter. Noch haben sie Seine Gnaden nicht gesehen.«

Sie zog Gomins Hand herunter. »Weil die Fackeln sie blind machen. Hier.« Mit einer heftigen Bewegung riß sie den Kräuterbeutel von ihrem Gürtel und gab ihn der Kundschafterin. »Ich denke nicht, dass wir das noch brauchen, aber der Inhalt dieses Beutels kommt in den Suppentopf der Mannschaft da unten. Einmal unterrühren, damit es nicht auffällt, und dann macht Ihr Euch so schnell wie möglich vom Acker. Gomin und ich gehen und befreien Ihre Gnaden Fuchslieb. Ich bezweifle, dass es ruhig abgeht. Los.«

Mira warf noch einen kurzen Blick auf den Hof und rannte dann geduckt über die trockene Bergwiese. Meriban wartete, bis die Kundschafterin in den Schatten verschwunden war und deutete auf ein schütteres Gebüsch etwas unter ihnen und auf halbem Wege zum Milchhaus. Gomin nickte und rannte voraus.

Gerade als Meriban die Hälfte ihres Weges zurückgelegt hatte, erreichte seine Gnaden Praiodan die Talsohle und donnerte: »Haltet ein in Eurem frevelhaften Tun!«

Einen Moment lang erstarrte alles, dann lösten sich zwei Männer in schwarzen Roben aus der Gruppe und rannten auf den Geweihten zu.

Gomin vertraute auf Dunkelheit und Ablenkung und eilte direkt zu dem grauen Bündel; Meriban folgte ihm so schnell sie konnte. Als sie das Haus erreichten, rangen die Männer den Praios-Geweihten gerade auf den Boden.

Das Bündel war eine schwarzhaarige Frau in den matt schimmernden Roben einer Phex-Geweihten der Mada Basari. Sie war an Händen und Füßen gefesselt; ihr Gesicht war noch blasser als der silbergraue Stoff ihres Umhangs. Sie schien ihre Anwesenheit nicht zu bemerken.

Meriban fasste sie an den Schultern und schüttelte die Frau. »Euer Name!« verlangte sie scharf.

Hinter ihr fielen Hiebe. Es blieb zu hoffen, dass der Praios-Geweihte sich noch ein paar Augenblicke halten würde. Die Frau wandte den Kopf, sah sie an - und schien sie zu erkennen.

»Monds ...« flüsterte sie heiser, bevor ihre Augen wieder in unbekannte Fernen starrten.

»Gut. Gomin, sie ist echt. Nimm sie und verschwinde.« Meriban hob den schlaffen Körper hoch und half ihrem Freund, die Geweihte über seine Schulter zu legen. »Phex mit dir.«

Der Magier sah sie kurz an. »Glück, Meriban«, flüsterte er. »Glück.«

Sein dunkelblauer Burnus verschmolz schnell mit der Dunkelheit, die helle Robe der Geweihten schimmerte etwas länger durch die Nacht. Als sie Gomin endlich nicht mehr erkennen konnte, war Seine Gnaden Praiodan schließlich einem gezielten Faustschlag zum Opfer gefallen. Die fünf Beschwörer standen um ihn herum und diskutierten, was sie jetzt machen sollten. Meriban schlich um das düstere Nebengebäude. Es würde nicht lange dauern, bis einer der Leute dort die einzig relevante Frage stellte - wo kam der Geweihte her? Praios-Geweihte reisten so gut wie nie ohne Eskorte. Auch und besonders keine zwanzigjährigen Idioten.

Sie lugte um die Ecke des Milchhauses. Eine Kante des riesigen Heptagramms reichte fast zu ihrem Versteck, und die Fackel, die den Eckpunkt markierte, loderte im auffrischenden Nachtwind.

»Der is ja nurn Junge.« rief eine Frau. »Und schauma, so a niedlichs Anhängerla. Des nem ich.« Ein Lederriemen riss mit einem harten Knacken.

»He, das ist meins!«

»Nein, das krieg ich!«

Meriban huschte zum vollgestellten Küchentisch und schnappte sich die goldene Drachenstatuette. Die falschen Wechsel daneben waren mindere Donaria und nicht für eine große Beschwörung zu brauchen, würden aber sicherlich gut brennen, wenn sie eine Fackel auf den Tisch warf. Die verschiedenen Beutel enthielten Holzmünzen, gediegene Gold- und Silberbrocken und Knochen.

Meriban war sich nur allzu sicher, wo die Knochen herkamen und steckte alles zur Statuette in ihre Umhängetasche. Nur ein kleiner Beutel blieb übrig. Der sorgfältig gearbeitete Ledersack enthielt den feinsten Mondstaub, den sie je gefühlt hatte, so tot wie die Erde in den Schwarzen Landen. Als sie ihn unter dem Tisch öffnete, zitterten ihre Hände vor Zorn. Das würden die Beschwörer büßen.

»Ruhe! Wir müssen bis Morgengrauen fertig sein ...«

Einer der Männer, um einiges dicker als der Rest, brüllte den Streit um die goldene Praiosmedaille nieder.

Mehr Zeit konnte sie Gomin nicht geben. Meriban stellte sich auf die Knie und zog den Heuler aus ihrem Rückenköcher. In einer einzigen Bewegung nockte sie den Pfeil, zog die Sehne zurück und ließ den Signalpfeil fliegen. Ein schrilles Pfeifen erfüllte die Nachtluft. Die Diskussion um den Praios-Geweihten stoppte abrupt.

»Der Kerl war nicht allein! ALARM!« schrie der dicke Mann. Meriban riß eine Fackel aus dem Heptagramm und warf sie johlend auf den Tisch.

Eine andere Fackel landete auf dem Milchhaus, bevor die Beschwörer sich ganz zu ihr umgedreht hatten. Von koordiniertem Kampf hatten die Leute keine Ahnung. Meriban schubste eine große Frau vor die Füße des dicken Mannes, der der Länge nach hinschlug, ließ eine weitere aus dem Beschwörungskreis gerissene Fackel auf ihre Körper fallen und wischte durch die entstehende Lücke zu Seiner Gnaden. Der junge Praios-Geweihte stöhnte, als sie ihn am Kragen hochzog und schließlich mehr hinter sich verschleifte als dass er lief.

»Los, Euer Gnaden, Lauft!« befahl sie und riskierte einen Blick zurück zum Hofplatz.

»Löscht es, löscht es!« schrie der Dicke, der sich gerade aufgerappelt hatte und deutete auf das Dach des Milchhauses. Das alte Stroh hatte gut Feuer gefangen. Kleine Flämmchen kletterten den Saum der Robe des Beschwörers hinauf, aber er schien es nicht zu merken. Seine Gnaden Praiodan stand schwankend auf eigenen Beinen.

Meriban schubste ihn in die richtige Richtung und flüsterte im Befehlston: »Rennt!« Der junge Geweihte stolperte ungeschickt vor ihr her, bis sie ihn am Arm fasste und ihn hinter sich den Berg hochzog.

Nach der ersten Hügelkuppe musste sie verschnaufen. Der Himmel glomm dunkelrot, und einzelne gelbe Funken flogen durch die Nacht. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Beschwörer ihr Opfer vermissten.

Plötzlich schrie eine Frauenstimme: »Sie ist weg! Er ist weg! Sucht sie!« Die Bergwände wiederholten den Schrei und verzerrten ihn grotesk.

»Rennt, Euer Gnaden!«, flüsterte sie heiser. Der Geweihte stolperte weiter. Nach einem prüfenden Blick auf die Felsen fand Meriban den Weg zum Pass und scheuchte Seine Gnaden weiter den Berg hinauf. Als sie sich das nächste Mal umsah, stand eine schwarze Gestalt auf dem Hügel, den sie gerade verlassen hatten.

»Da sind sie!«, heulte die Frau. »Fangt sie!« Dafür, dass sie gerade einen steilen Berg erklommen hatte, hatte sie erstaunlich viel Stimme.

Die Berge reflektierten das Licht vom brennenden Milchhaus. Meriban und Seine Gnaden konnten den Pfad besser erkennen, aber die Flammen halfen auch ihren Verfolgern. Sie hätte sich die Fackel verkneifen sollen. Die Ablenkung durch den Dachbrand war nicht wirksam genug. Sie hatte immer noch ihren gespannten Bogen in der linken Hand; ein Schuss in die Schulter der Frau ...

Seine Gnaden stolperte und stürzte hart. Sie zog ihn hoch und stützte ihn, bis er wieder laufen konnte, dann zerrte sie ihn weiter hinter sich her. Ein wilder Blick auf ihre Verfolger enthüllte zwei neue Silhouetten auf dem ersten Hügel. Die Frau war verschwunden.

»Schneller, Euer Gnaden!«, trieb Meriban den strauchelnden Geweihten an. Praiodan stolperte hastiger den Berg hoch.

Ewigkeiten später erreichten sie die Passhöhe Sie hoffte, dass Ihre Gnaden und der Rest der Truppe einen vertretbaren Vorsprung hatten. Notfalls konnte sie sich und Seine Gnaden verstecken, auch wenn sie ihn dafür fesseln und knebeln müsste. Zehn Menschen dagegen waren um einiges schwieriger zu verbergen.

Auf einmal kamen ihr zwei Gestalten entgegen. Sie griff zu ihren Wurfmessern.

»Da bist du ja«, sagte Gomin in einem aufreizenden Plauderton und nahm ihr den Geweihten ab.

»Seid ihr alle verrückt geworden?«, erkundigte sie sich scharf. »Weshalb seid ihr noch hier? Wo ist Ihre Gnaden?«

»Fessir wollte Euch nicht zurücklassen«, murmelte Mira. Ihr Tonfall sagte, dass die Entscheidung einstimmig gefallen war.

»Und die Karawanenwachen sind der Überzeugung, dass Ihre Gnaden mit dir um einiges länger lebt als ohne dich. Sie berufen sich auf etwas, das Ihre Gnaden gesagt hat«, ergänzte Gomin und schulterte den Praios-Geweihten.

»Das ist Wahnsinn!« protestierte sie. »Da unten ist mindestens ein Paktierer, der liebend gerne noch eine Phex-Geweihte opfern möchte. Sie muss hier weg!«

Gomin sah sie von der Seite an. »Und du bist nicht in Gefahr?«, fragte er.

»Ich habe mehr als nur vier Asse im Ärmel, und das weißt du!«

Meriban warf einen hastigen Blick ins Tal. Unter ihnen kletterten drei der Beschwörer den Berg hinauf, auch wenn sie sie gerade nicht erkennen konnte. Sie mussten sich beeilen; der Saumpfad war alles andere als sicher.

Ein paar Momente später erreichten sie den eigentlichen Pass Fessir und die Wachen, die rund um die Trage mit der Phex-Geweihten hockten, begegneten ihrem zornigen Blick ruhig und gelassen.

»Ihr seid leichtsinnig!« zischte sie. »Ich brauche einen starken Rücken für Seine Gnaden, er kann nicht laufen.«

Einer der Karawanenwächter erhob sich und nahm den Geweihten ohne weitere Zeremonie Huckepack. Das Geräusch, als die überspannten Säume der rotgoldenen Robe nachgaben war Musik in Meribans Ohren.

»Marschordnung. Alrike, Fessir, Ihre Gnaden, Seine Gnaden, Gomin, ich und Mira. Passt bei diesem Steinschlag auf. Eile. Los!«

In ein paar Augenblicken trabten alle durch den Pass und die Anhöhe hinunter. Im Pass warf Meriban einen letzten Blick ins Tal. Nicht allzu weit unter ihnen hasteten drei Gestalten den Berg hinauf, eine weit vor den anderen.

Alrike führte die Gruppe auf den schmalen Pfad. Sobald sie den Hohlweg erreichten, wären sie halbwegs geschützt. Diese Sicherheit war allerdings fünfhundert lange Schritte in der Dunkelheit entfernt. Oben im Pass erschien ihre erste Verfolgerin, ein schwarzer Flecken vor dem violett-roten Himmel. Sie machte keine Anstalten, ihnen zu folgen. Meriban war unwohl.

Irgendetwas stimmte nicht, aber sie konnte nichts Gefährliches entdecken, bis ein Kieselstein bedächtig den Berg herab sprang. Alrike hatte ihn auch gehört und hielt die Gruppe an. Zu dem ersten Steinchen gesellte sich ein zweites. Meriban blickte nach oben und erkannte die Felsformation vor der Falle.

»Zurück! Alle Zurück!«, rief sie. »Steinschlag!« Mira rannte zur Anhöhe, Meriban und Gomin hart auf den Fersen. Der Wächter, der seine Gnaden auf dem Rücken hatte, schaffte es auf die Wiese und stürzte hart. Meriban bekam den Geweihten zu fassen, bevor er auf den Abgrund zu rollte; Mira zog den stöhnenden Wächter von der Felskante weg. Das linke Bein des Mannes bog sich über das Schienbein hinaus.

Auf dem Pfad hatten die anderen Wächter die Trage mit ihrer Gnaden zwischen sich und rannten aus dem Bereich der Falle. Immer größer werdende Steine prasselten auf sie nieder. Staub und die langsam heller werdende Nacht verbargen den Weg, als der vorbereitete Steinschlag mit einem mächtigen Poltern zu Tal ging. Das dumpfe Rollen der Steine verschluckte jedes Geräusch, bis die zwei Wachen mit der Trage auf die Anhöhe taumelten. Fessir folgte ihnen, aber auf Alrike wartete Meriban vergeblich.

Sie hatten sich gerade in der Mitte der Anhöhe versammelt, als die Frau mit der durchdringenden Stimme den Weg hinabstolzierte. Meriban erhob sich, nockte einen Kriegspfeil und hob den Bogen, ohne ihn zu ziehen. »Ein Schritt weiter, und Ihr seid tot«, warnte sie.

Die Frau lachte und hob ihre leeren Handflächen. »Ich habe euch ein Angebot zu machen«, sagte sie. »Freies Geleit für eure Leute, wenn ihr die zwei Geweihten ausliefert.«

Meriban musterte die Frau misstrauisch. »Redet weiter.«

Auch Gomin hatte sich erhoben und murmelte leise Formeln vor sich hin.

»Das ist alles. Ihr gebt uns die Geweihten, und wir lassen euch ungehindert gehen. Ganz einfach.«

»Ha! Sobald wir das Tal verlassen haben, hat jeder von uns drei Pfeile im Rücken. Ich weiß, wie das Spiel gespielt wird, meine Dame! Nächstes Angebot!«

»Natürlich stellen wir euch zwei Geiseln, die ihr unten in der Wüste gehen lasst. Die zwei Götterknechte könnt ihr sowieso nicht brauchen.«

»Das klingt schon besser. Dann können wir ja jetzt über die Entlohnung reden.«

»Entlohnung?«, erkundigte sich die Frau überrascht.

»Tempel hat gesagt, 'Ein Silber für jeden.'« Gomin grinste breit und wankte unkoordiniert auf die Frau zu. »Bringen Krank-Mensch.« Er wedelte in Richtung der Trage mit Fuchslieb. »Mag Silber. Glänzt schön.« Der Magier rieb sich die großen Hände und sabberte leicht. Die Frau wich angeekelt einen Schritt zurück.

»Zwei Leute anderthalb Mannslängen über uns auf einem Sims«, flüsterte Gomin durch seine Fratze. »Zwei im Pass Alle fünf sind magisch begabt.«

Die Frau versuchte ihre starke Position zurückzugewinnen. »Nun, dann erscheinen mir zwei Silber pro Nase durchaus angemessen.", schlug sie vor.

Meriban lachte abfällig. »Vier Silber, die wir unter uns verteilen sollen? Da bekomme ich ja für's Pissen mehr Geld!«

»Ich meine natürlich zwei Silber Finderlohn für jeden von euch.«

»Nun, das kommt mir etwas vor wie der Lohn für einen Irren. Wiederholt Euch doch noch einmal in Gold, dann können wir uns überlegen, ob wir Euch einen Praioten und eine Phexie verkaufen.«

Hinter ihr keuchte jemand entsetzt.

Die Hände der Frau zitterten. »Das ist Wucher!«

»Und Ihr habt Schleuderpreise. Entweder wir bekommen Gold oder ihr bekommt die Ware ausgeblutet.«

»Ihr Frevler!« Seine Gnaden war wieder bei Sinnen.

»Zwei Gold für jeden, eins pro entlaufenem Dienstboten«, wiederholte Meriban über die lauter werdenden Proteste Seiner Gnaden hinweg. Sie schubste Gomin, der die Frau immer noch breit lächelnd anstarrte. In seinem Schädel klapperten die eingebildeten Goldmünzen.

»Geh' und sorg dafür, dass die Ware sich nicht so beschwert, ja?«

Gomin grinste noch breiter und watschelte, um Seiner Gnaden Gesellschaft zu leisten. Der unzusammenhängende Strom von Vorwürfen brach abrupt ab.

»Also?«, erkundigte sich Meriban.

Die Frau rang sichtlich mit sich, kam aber schließlich zu einem Entschluss. »Zwei Gold.«, krächzte sie. »Für jeden.«

Meriban spuckte auf den Boden. »Dann werde ich das mal mit meinen Leuten besprechen. Ob das Geld reicht, versteht sich.» Sie winkte Mira zu sich.

»Wenn diese Frau sich auch nur eine Fingerbreit bewegt, schießt du.« Leise setzte sie hinzu: »Magier und mehr. Bring' sie nicht um.«

Die Kundschafterin nahm Meribans Bogen an sich. »Jawohl.«

Meriban kehrte in die Mitte der Anhöhe zurück und kauerte sich neben die Trage. »Was haltet ihr von dem Angebot?«, fragte sie laut. Dann ließ sie den Blick durch die Runde schweifen. »Wie steht es?«, murmelte sie. Die Verbände sahen nicht gut aus. Fessir war an der Schulter verletzt, alle Wachen hatten Beinverletzungen. Alrike war im Steinschlag verblieben.

Fessir antwortete. »Die einzigen, die kampffähig sind, seid Ihr, Mira und Gomin.«

Der Magier, der Seiner Gnaden den Mund zu hielt, schleppte den unglücklichen Praios-Geweihten mit sich und zwang ihn neben der Trage auf den Boden.

»Wer kennt die aktuellen Sklavenpreise?«

Die Karawanenwächter grunzten.

»Diskutiert den Handel. Ich muss mit Ihrer Gnaden sprechen. Schirmt uns ab.«

Die drei begannen lauthals zu diskutieren. Meriban nickte dem kargen Rest der Truppe zu. Sie versammelten sich um die Trage.

»Euer Gnaden, habt Ihr Euch beruhigt?« erkundigte sie sich. Der Blick des jungen Geweihten sagte alles.

»Wir haben zwei Beschwörer auf einem Sims über uns. Sie haben wahrscheinlich den Steinschlag ausgelöst, der uns fast alle umgebracht hätte. Dazu die Frau und die zwei im Pass Dagegen haben wir nur noch drei unverletzte Kämpfer. Wenn ihr brauchbare Vorschlage habt, würde ich sie gerne hören.«

Der Geweihte starrte sie weiter böse an. Gomin schüttelte ihn leicht. »Wenn Ihr ein paar Minuten lang zuhören könnt, ohne zu schreien...«, murmelte der Magier.

Seine Gnaden nickte widerwillig, und Gomin ließ ihn los. Meriban wandte sich der schmalen Gestalt auf der Trage zu.

»Euer Gnaden?«

Die Frau lächelte und nahm Meribans Hände. »Mondschatten«, grüßte sie leise.

Meriban drückte die kalten und zitternden Hände der Geweihten. »Dann eben Mondschatten.« Fuchslieb hatte anscheinend die letzten Tage viel zu wenig Wasser bekommen. Meriban fuhr fort, »Mondschatten, wir sind von Euren Entführern eingeschlossen. Ich sehe fünf und vermute sieben. Was wisst Ihr über sie?«

»Sie sind zu siebt. Dämonenbeschwörer, vielleicht auch mehr. Zwei streiten sich um die Macht, der Rest um die Krümel.« Sie atmete tief ein. »Ihr verhandelt gut, aber es wird nicht genügen. Wie nennt Ihr Euch?«

»Meriban Tuchner.«

»Ah. Ich habe von Euch gehört. Mira und Fessir kenne ich. Wer sind die anderen?«

»Seine Gnaden Praiodan, Geweihter des Praios, und Gomin Marikobu, Magus der Grauen Gilde ...«

»Ihr seid was?«, japste der Praios-Geweihte. Gomin hielt dem Geweihten die rechte Hand vor die Nase, öffnete den Burnus und enthüllte seine grauen Reisekleider. »Das ist widerrechtlich!«

»Das reicht! Euer Gnaden. Die Wüste ist nicht die Stadt des Lichts.«

Plötzlich wurde es dunkel. Der rote Flammenschein, der den Himmel hinter dem Pass erleuchtet hatte, war verschwunden.

»Das war's. Der Dicke hat sich einen Dämonen beschworen. Dienst Nummer eins war ersticke das Feuer! Wer möchte wetten, dass der zweite Befehl bringe uns zum Pass ist?«

»Dafür braucht er keinen Dämon, sondern ein Elementar...«, wandte der Magier ein.

»Über die Fähigkeiten des Dicken können wir uns anderweitig streiten. Was machen wir mit der Unkreatur?«

Ein eisiger Wind fuhr durch den Pass Gomin deutete auf die Wiese zwischen der Frau und den zwei Beschwörern, die den Weg ins Tal blockierten. »Es scheint, dass der Beschwörer nur zwei Dienste untergebracht hat.«

Im grauen Licht der gerade einsetzenden falschen Dämmerung standen der Dicke und ein junger Mann, wo sich vorher nur schütteres Gras gehalten hatte. Sie begannen sofort damit, das überlebende Gras auszureißen. Die zwei Beschwörer im Pass kamen ihnen zu Hilfe.

Meriban konnte nichts tun, um das zu unterbinden. Seine Gnaden starrte abwechselnd auf Meriban, Gomin und die zwei Neuankömmlinge. Der Junge hatte wohl bis jetzt kaum praktische Magie gesehen.

»Großartig. Damit haben wir alle Beschwörer auf einen Haufen. Was machen wir mit ihnen?«

Fuchslieb lachte schwach. »Was wisst Ihr über meine Entführer?«

»Mindestens fünf von ihnen sind magisch begabt - sechs, wenn wir den Dicken da hinten mit dazu zählen, bei zweien vermute ich einen Pakt. Ein Geweihtenopfer hat stattgefunden, eventuell auch mehrere. Der Dicke scheint mir zur Zeit die magische Kontrolle zu haben, wenn man es so sagen kann. Die Frau hat unmenschliche Ausdauer und zeigt Anzeichen von krankhaftem Geiz...«

»Und wann wolltet Ihr mir diese Information zukommen lassen?«, unterbrach sie Seine Gnaden wütend. »Es gibt hier Paktierer, und Ihr verschweigt mir das!« Er schüttelte Gomins Hand ab und sprang auf die Füße. »Bei Praios! Für Dämonenpaktierer gibt es nur eine Strafe!«, brüllte er. »Den Feuertod!«

Das Echo ließ seinen Ausbruch mehrmals durch die tiefe Schlucht unter dem Pass rollen. Einen Moment lang lauschten alle erstarrt dem menschengemachten Donner, dann stellten sich die Karawanenwächter um die Trage und zogen ihre Krummsäbel. Mira steckte ruhig und gelassen Pfeile in die Erde, beobachtete die Frau aber weiterhin scharf.

Meriban unterdrückte den Impuls, den Praios-Priester zu erwürgen. »Großartig, Euer Gnaden. Jetzt habt Ihr sie davon überzeugt, dass wir tot nützlicher sind als lebendig. Tut mir einen Gefallen und bleibt bei Mondschatten Fuchslieb. Vielleicht hat sie mehr Geduld mit Narren als ich.«

Das Gesicht Seiner Gnaden verdunkelte sich. »Wie könnt Ihr es wagen ...«

Vielleicht war an der Situation noch etwas zu retten. »Ware hat sich nicht über den Preis zu beschweren, den sie einbringt!«, schrie sie ihn an.

Der Praios-Geweihte war sprachlos vor Zorn. Meriban beugte sich zu Fuchslieb hinunter und zog ein Messer aus ihrem Gürtel.

»Ich werde mein Möglichstes tun«, flüsterte sie und reichte es der Phex-Geweihten. »Aber ihr solltet nicht unbewaffnet sein.«

Fuchslieb nahm das Messer an sich und fuhr über den im Knauf eingesetzten Türkis. »Glück und Verstand«, hauchte sie. »Phex mit euch, Mondschatten.«

Meriban ging zurück zu ihrem alten Verhandlungspartner. »Die Ware protestiert, und meine Leute auch. Sie wollen fünf Gold für jeden.«

Die Frau starrte sie feindselig an. »Ihr reitet ein totes Pferd. Tasfarelel wird sich auch an zehn toten Dienstboten seiner Feinde freuen. Anders wäre es natürlich zu bevorzugen gewesen.« Sie drehte sich um und trat zu ihren Gefährten. Mira hob den Bogen und schoss in einer flüssigen Bewegung. Der Pfeil zersplitterte an der Robe der Frau. Sie stolperte kurz und lachte dreckig, als sie sich zu ihren vier Gefährten gesellte und sich an der Arbeit beteiligte.

»Gomin, kannst du etwas mit dem Kreis da hinten machen? Wenn sie uns einen Dämon auf den Hals hetzen, haben wir echte Schwierigkeiten.«

»Schon dabei.« Der Magier hatte seine Schuhe ausgezogen und ließ den Burnus fallen. »Das Zeug stört die Matrix,« sagte er erklärend.

Die falsche Dämmerung bescherte ihnen düsteres Licht. Meriban konnte die fünf Beschwörer sieben Schritt vor sich gut ausmachen. Die zwei anderen oben auf dem Sims hoben sich schwarz vor dem grauen Felsen ab. Vor dem Steinschlag hatten ihre Leute die Überlegenheit. Jetzt waren sie böse in der Unterzahl. Nur noch Mira und sie waren in der Lage, eine Waffe zu führen. Auch war jeder tote Paktierer ein unwiederbringlicher Verlust für die Götter. Die Beschwörer dagegen hatten keine Probleme damit, sie erst umzubringen und ihre Körper dann zur Beschwörung ihrer Dämonen zu benutzen.

»Mira!« Die Kundschafterin wandte sich von den Beschwörern ab und sah sie an. »Könnt Ihr klettern?« Meriban deutete auf das schmale Sims über ihnen, auf denen die restlichen Beschwörer standen.

Die Frau schüttelte den Kopf. »Alrike konnte das ... aber ich nicht«, flüsterte sie. »Es tut mir leid, Frau Meriban.«

Die zwei Magier über ihnen warteten offenbar auf das Ergebnis der Beschwörung, die die größere Gruppe plante, aber einer von den beiden deutete auf Gomin und gestikulierte wild in der Nachtluft herum. Sie hatte keine Zeit mehr, und so auf die Schnelle war kein Paktierer von seinem Dämonen abzubringen. Sie konnte noch nicht mal alle sieben niederschlagen, und Gomin war kein Kampfmagier.

Auf einmal lag eine feingliedrige Hand auf ihrer Schulter. Fuchslieb hatte sich von ihrer Trage erhoben und war zu ihr getreten.

»Tut es nicht allein«, flüsterte sie.

Meriban betete selten in Worten. Für sie war es dieser Wille, dieses Hindernis, diese Bitte, dieses Angebot und jene Anerkennung. Sie ließ die Tasche mit den entweihten Gegenständen auf die Erde gleiten, fasste Fuchsliebs bebende Hand und zwang sich zu einer klaren Formulierung.

»Unser Herr Phex«, murmelte sie, »Um uns stehen sieben Dämonenbeschwörer, mindestens zwei von ihnen haben ihre Seele an Euren Feind verkauft. Hier sind neun Eurer treuen Anhänger, zwei davon Eure Diener, und zusätzlich ein Diener Eures Bruders Praios. Unser Weg aus der Gefahr führt über sieben tote Beschwörer, die ohne Eure Hilfe nie in Borons Hallen eingehen werden. Ein solcher Reingewinn für das Chaos ist kein gutes Geschäft. Helft uns, Herr Phex, rettet diese Seelen vor ihrer Dummheit und Verblendung, und ihr gewinnt sieben Seelen zurück. Zusätzlich werde ich binnen Jahresfrist dieses verfluchte Tal von allen verbliebenen dämonischen Einflüssen säubern und Euch hier einen Schrein errichten.«

Fuchsliebs leise Stimme war ein fahles Echo ihrer Gedanken. Die wieder dunkler werdende Nacht verharrte in einem Moment der absoluten Stille.

Sie lebte in einem endlosen Augenblick. Fuchslieb stand unsicher neben ihr, Gomin deutete auf den Beschwörungskreis vor dem Pass und deklamierte seinen Zauber in unendlicher Langsamkeit. Über ihnen standen die zwei schwarzberobten Gestalten, die Hände zu einem Feuerzauber erhoben. Meriban zog ihr erstes Wurfmesser aus dem Gürtel, erfasste das Ziel, sprach ein »Im Namen Phexens, weiche Dämon!« und warf. Kaum hatte das Messer ihre Hand verlassen, flog schon der zweite Dolch zur zweiten Kehle. Dann wandte sich Meriban der Gruppe um den Kreis zu. Zwei Wurfdolche fanden ihr Ziel. Der fünfte Dolch lag in ihrer Hand. »Der Handel ist nichtig, denn diese Seelen gehören den Zwölfen!« Diesmal war ihr Ziel der Bauchnabel des Dicken; daraufhin durchtrennte sie das rote Band des minderen Paktes, das die vorletzte Gestalt fesselte. Nur die Frau mit der lauten Stimme stand noch. »Diese Seele dient Phex und sie wurde nicht aus ihrem Eid entlassen!«, rief sie und warf. Die Zeit kehrte zurück.

Fuchslieb brach zusammen, Gomin deklamierte seinen Zauber. Der erste der Beschwörer kippte vom Sims und landete mit einem dumpfen Schlag auf der Geröllhalde. Die Karawanenwächter warteten auf ihre Befehle, und der zweite Körper fiel zu Boden. Gomin beendete seine Formel und senkte die Hand.

Meriban rannte über die schmale Wiese und kniete neben dem Dicken. Er war um Jahre gealtert, aber er lebte noch.

»Empfehlt Euch den Göttern an!«, bat sie. »Betet!«

Der Mann starrte mit glasigem Blick an ihr vorbei. »Welchen Göttern?«, fragte er uninteressiert.

»Phex, der Euch befreit hat. Oder Boron. Betet!«

»Dann eben Boron. Wenn er schon auf meiner Anwesenheit besteht ...« Er erstarrte.

Meriban wankte zur nächsten Gestalt, die ein Messer im Bauch hatte. Es war ein junger Mann von vielleicht achtzehn Jahren, kaum älter als Seine Gnaden. Sie fasste seine Hände. Tränen rannen über ihre Wangen. »Betet«, beschwor sie ihn.

»Ich habe einen Geweihten umgebracht«, murmelte er. »Wie kann ich ...?«

»Bittet um Vergebung. Bietet Dienst in Eurem nächsten Leben. Phex hat euch befreit. Ihr müsst nur beten. Betet!«

»Oh Herr Phex, ich kann nicht zurückgeben, was Ihr mir ...«

Plötzlich hockte sie neben der großen Frau. Auch sie war um Jahre gealtert. Sie fasste Meriban am Ärmel und zog sie zu sich herunter. »Im Keller ... liturgisches Gerät, Schätze... anderen nie gefunden... für meinen Herrn Phex. Weiht es!«, flüsterte sie. »Ich kann nicht mehr ...«

Schwingen rauschten über die dunkle Bergwiese. Meriban sank auf die Knie und weiter auf die Erde. Sie weinte vor Glück und Schmerz. »Danke, danke danke«, schluchzte sie.

Als sie ihre Umgebung wieder wahrnahm, stand die Sonne gerade über den östlichen Bergen. Sie lehnte an einem Felsen und war mit einem Burnus zugedeckt; Mondschatten Fuchslieb lag neben ihr auf der Trage. Fessir saß ein paar Schritt entfernt Wache über seine schlafenden Kameraden und die sieben Leichen, die neben dem Passweg lagen. Sie schloss ihre Augen und folgte der Spur des Göttlichen, die sich durch ihr Leben zog.

Später diskutierte sie mit Gomin. »Iss!«, befahl der Magier.

Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht hungrig.«

»Ich weiß, dass du nicht hungrig bist. Du musst trotzdem essen!« Er schob ihr ein Stück Trockenfleisch zwischen die Lippen, und sie biss nur ab, um ihn loszuwerden.

Nach dem ersten Bissen kehrte der Hunger zurück. Und mit ihm ein Teil der Welt. »Wo ist Alrike? Wer ist am schwersten verletzt? Wir müssen die Beschwörer begraben«, sagte sie zwischen Fleischstücken hindurch, »und das Milchhaus auseinandernehmen. Der Dicke war richtig hysterisch, als ich das Dach angesteckt habe. Es gibt einen zweiten Weg aus dem Tal, und ...«

Gomin hob eine Hand. »Immer mit der Ruhe. Wir haben Alrike gefunden. Sie hat zwei gebrochene Beine, aber sie lebt. Ich habe alle nach Möglichkeit zusammengeflickt, jetzt schlafen sie ihren Rausch aus. Sie werden auch ohne Wunder überleben. Mira ist schon unterwegs, mit dem Begräbnis gibt es Schwierigkeiten, und das Milchhaus solltest du dir selber ansehen.«

»Welches Problem gibt es mit der Beerdigung?«, fragte sie. Im Moment ging es ihr zu gut, als dass sie sich aufregen wollte.

Gomin seufzte. »Seine Gnaden möchte um den Scheiterhaufen tanzen.«

»Ich verstehe.« Sie stand schwankend auf. »Dann zeig' mir mal das Milchhaus.«

Tagsüber war der Weg den Berg hinunter nicht sehr beschwerlich. Unter ihr ragten vom angebrannten Nebengebäude die schwarzen Rippen des Dachgestühls in die Höhe. Der Hofplatz war von einem Gewirr von Linien und Furchen durchzogen.

Einige gehörten zu einem Schutzkreis, die anderen zu dem großen Heptagramm, aus dem sie die Fackeln gerissen hatte. Die Tür des Milchhauses lag auf der Erde und verdeckte einen Teil der gekratzten und gekreideten Linien.

Kalter Rauch und übler Gestank quoll aus den Überresten des Gebäudes. Gomin steuerte sie durch die angekokelte Türöffnung und schob ihr einen Hocker hin, auf dem sie sich niederließ.

»Wir haben einen Stapel Werke, für die einige Akademien ein paar Kisten Gold rausrücken würden.« Gomin deutete auf einen Stapel Bücher auf dem Arbeitstisch. »Die Hesinde-Kirche würde sich auch die Finger lecken und Seine Gnaden geifert, dass die Bücher allesamt verbrannt werden müssen.«

Meriban betrachtete den beeindruckenden Stapel Bücher. »Dann wird er sehr enttäuscht sein. Die hatten hier ja schon fast eine eigene Bibliothek. Irgendetwas für uns Relevantes?«

Gomin deutete auf den zweiten Tisch, auf dem drei schwere Folianten lagen. »Diese Bücher hier beschäftigen sich mit der Beschwörung von Nicht-Phex. Die sollten wir nach Möglichkeit nicht aus der Hand ...«

»Frau Meriban!« Der jugendliche Versuch eines Befehls misslang. Der Praios-Geweihte stand in der Tür. Er hatte seine Medaille wiedergefunden, aber die Robe hing in Fetzen. »Ich verlange eine Erklärung.«

Meriban starrte einen Moment. Nach allem, was der Kerl angerichtet hatte verlangte er... Das war zu viel. Sie brach in hilfloses Gelächter aus.

»Ihr ...verlangt,« keuchte sie, »eine ... Erklärung?« Sie hielt sich am Tisch fest und atmete tief durch. »Eine Erklärung.« Die sollte er haben, seine Erklärung.

»Ist der Tisch draußen abgeräumt?«, erkundigte sie sich schnaufend.

»Ja.«, antwortete Gomin. »Ich habe alle übrig gebliebenen Paraphernalia eingesammelt. Sie sind teilweise gewidmet.«

»Darum kümmern wir uns später.« Sie sah sich in dem stinkenden Raum um. »Warum entsorgst du dich nicht das Ding da?«, fragte sie und deutete auf den kleinen Beschwörungskreis, der in den Fußboden eingelassen war. »Seine Gnaden und ich müssen und kurz unterhalten.«

Während es sich der Praios-Geweihte auf der Bank vor dem Haus bequem machte, holte Meriban eine Holzschale voll Brei aus dem einzigen Kessel in der erloschenen Feuerstelle. Sie stellte Schale und Löffel vor den jungen Geweihten.

»Nun, Euer Gnaden, was würdet Ihr sagen passiert, wenn Ihr diesen Brei esst?«

Der Geweihte musterte sie misstrauisch. »Ich würde satt.«

Meriban schüttelte den Kopf. »Wenn Ihr diesen Brei vor gestern vor Mitternacht gegessen hättet, dann würdet ihr nur satt. Kurz nach Mitternacht wurde er gewürzt. Mit einem äußerst wirksamen Schlafmittel, das Euch einen ganzen Tag und eine ganze Nacht selig in Borons Armen halten würde.«

»Das soll eine Erklärung sein?«, verlangte der Praios-Geweihte.

»Wenn Ihr Euren Kopf benutzen würdet, würde das als Erklärung ausreichen, Euer Gnaden. Um es einfacher zu machen: Überlegt doch bitte einmal, warum ganz normale Wüstenräuber zwei Tage vor Neumond eine Phex-Geweihte entführen sollten? Welche Absicht könnten sie dabei verfolgen?«

Aus dem Milchhaus drang regelmäßiges Krachen, als Gomin mit einer Handaxt auf die im Boden eingelegten Metallringe einschlug.

»Schätze finden?«, rätselte der Junge.

Meriban hob eine Augenbraue. »Sind Phex-Geweihte Wünschelruten? Ihr dürft gerne auch das Wissen verwenden, dass Ihr gestern Abend erworben habt.«

Der junge Geweihte errötete. »Sie Dämonen opfern.«

»Ah«, machte Meriban. »Aber warum sollten sie das tun?«

Jetzt fühlte er sich wieder auf sicherem Boden. »Weil sie Paktierer sind.«

"Nein, Euer Gnaden. Diese Antwort ist zu einfach. Sie haben es getan, um mächtige Paktierer zu werden. Und auch das ist nur ein Teil der Wahrheit." Sie machte eine kurze Pause, aber der Junge sagte nichts.

»Und jetzt zum zweiten Teil der Erklärung. Was tut Ihr als Vertreter Praios' auf Dere, wenn Ihr einen Paktierer erkennt?«

»Ich übergebe ihn den Flammen«, sagte der Junge voller Überzeugung.

Meriban betrachtete ihn lange. »Ihr redet wie ein Bauer aus Weiden«, sagte sie. »Liegt es wirklich in Praios' Interesse, dass Ihr Seelen ins Chaos schickt?«

»Woher wisst Ihr das alles!«, verlangte der Junge mit flammenden Ohren.

»Ich bin doppelt so alt wie Ihr und habe viel von dieser Welt gesehen.«, antwortete sie. »Ich wiederhole meine Frage. Was macht Ihr, wenn Ihr einen Paktierer erkennt?«

Der Junge verwelkte sichtlich. »Ich bitte einen der Tempeloberen um Hilfe.«, sagte er leise.

»Um den Dämonenbund zu beenden und den Paktierer wieder auf den rechten Weg zurückzuführen?«

»Ja.«

»Was wird der Paktierer tun?«

»Wenn er nicht von sich aus kommt, wehrt er sich.«

»Womit wir wieder bei dem Schlafmittel wären, das Mira gestern Abend in den Brei geschüttet hat. Nachdem Ihr mit Pauken und Trompeten unsere Anwesenheit verkünden musstet.«

Der Junge duckte sich und starrte auf den angebrannten Bohlentisch.

Meriban wartete eine Weile. »Ihr habt Probleme damit, die toten Beschwörer zu begraben?«, fragte sie schließlich.

»Paktierer werden immer den Flammen übergeben.« erklärte er.

»Zu welchem Zweck?«, erkundigte sie sich.

»Um sie von ihren Sünden zu reinigen.«

Meriban erhob sich. »Wenn Ihr mir folgen würdet, Euer Gnaden?« Sie hielt sich am Tisch fest, als ihr wieder schwindlig wurde. Gomins regelmäßiges Hämmern stockte. Er streckte den Kopf aus der Tür und hob eine Augenbraue. Meriban nickte in Richtung des Passes. »Da gibt es etwas, das Ihr sehen solltet.«

Auf halbem Weg den Berg hinauf holte der Magier sie ein.

»Euer Gnaden, wisst Ihr, wie sich Dämonenpakte äußern?« fragte sie, als sie die Leichen fast erreicht hatten.

»Paktierer tragen ein Dämonenmal.«

»Bei dem Dämonen, der Phex gegenübersteht, ist das Mal ein Edelstein im Bauchnabel.« Meriban deutete auf die Frau. »Sie war eine Paktiererin.«

Der Junge konnte sich nicht dazu durchringen, die Leiche zu berühren. Nach einem Moment öffnete Gomin die schwarze Robe. Meribans schwerer Dolch ragte aus dem Unterhemd, das der Magier mit einem Ruck aufriss. Rund um die Klinge war junge Haut gewachsen. Über der Brust trug die Frau eine Tätowierung, ein Kreis, der von einem geschwungenen Dreieck überlagert wurde.

Meriban hob eine Hand und zeichnete das Symbol in die Luft.

»Phex mit Euch«, flüsterte sie unhörbar. Dann räusperte sie sich. »Versteht Ihr, was Ihr seht, Euer Gnaden?«

Der Junge war bleich. »Nicht ganz«, murmelte er.

»Die Götter haben in dieser Nacht mehr Gebete erhört, als es Sterblichen zusteht, Euer Gnaden. Phex hat die Seinen zu sich gerufen. Und wir schulden es den Göttern, uns für ihre Geschenke zu bedanken. Ich denke, es stünde Euch gut an, sieben Gräber auszuheben und die letzte Ruhestätte dieser Menschen Boron anzuempfehlen. Meditiert, während Ihr arbeitet.«

»Wer seid Ihr?« Das war die erste wirklich ernst gemeinte Frage, die der junge Geweihte gestellt hatte.

»Meriban Tuchner. Handelsreisende aus Punin.«, antwortete sie ruhig.

»Das ist nicht die ganze Wahrheit.«

»Nein, Euer Gnaden, aber wenn Ihr es wisst, muss ich Euch es nicht sagen.«

Der Junge verbeugte sich tief. »Mit Eurer Erlaubnis, Mondschatten, werde ich mich jetzt meiner Aufgabe widmen«, sagte er und wartete.

»Dann geht und meditiert. Informiert mich, wenn Ihr bereit seid.«

Mit einer weiteren Verbeugung wandte sich der junge Praios-Geweihte um und lief ins Tal.

»Ob er etwas gelernt hat?« überlegte Gomin laut.

»Eine Dosis Demut. Ob er auch noch denken lernt, ist eine andere Frage.«, antwortete sie. »Aber du hast noch einen Beschwörungskreis zu zerbrechen, und ich muss etwas mit Mondschatten Fuchslieb besprechen.«

»Mehr Geheimnisse, Mondschatten?«

»Alles nur zu deiner Bildung, Schatten.«

© 15.5.2005, Dorothea-Christiana Bergermann, Shimotsuruma, Japan
08.11.2008, Überarbeitete Version, Dorothea-Christiana Bergermann, Herzogenaurach, Deutschland

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